Matthias Jung - er war zwei Jahre und vier Monate im Hospiz, so lange wie kein anderer. Auf seiner Visitenkarte steht: „Matthias Jung, Creative Director", Firmenname: ,,Der grüne Leguan". Matthias Jung war Modefotograf, Werbe- und Mediendesigner, auf der ganzen Welt unterwegs, von Mailand bis Tokio, von Berlin bis Rio.
Für die Firma Leica hat er die komplette Werbekampagne entworfen, und die war verdammt gut. Er war ein Weltenbummler und ein Perfektionist, rastlos und ein wahrer Genießer zugleich, Gourmet, Schöngeist, mit einem großen sozialen Gerechtigkeitsempfinden.
Irgendwann mitten im Business, auf dem Weg ganz nach oben, kam der Tumor und breitete sich in seinem Gehirn aus. Es kam zu Konzentrationsfehlern, zur Aggression, zur Wesensveränderung, zu epileptischen Anfällen, zur Notaufnahme. Es kam zu einer Notoperation und zur Diagnose: unheilbar. Dann das Hospiz.
Matthias Jung stammte aus Homberg im hintersten Schwarzwald und starb mit knapp 41 Jahren. Er hatte viel Geld verdient, in den guten Tagen, hatte seiner Mutter eine Ägyptenreise ermöglicht, einen Hubschrauberflug in die Wüste, er war top unter den Topleuten der Branche. Dann kam die Krankheit, der Boden unter den Füßen wurde weggezogen, dann kamen die Schulden und so weiter.
Er ist in einem Sozialgrab beerdigt, Kommunalfriedhof, ganz im Süden, dort wo man den Untersberg sieht. Man hat ihn im Versace-Hemd und im Armani-Anzug begraben; das war alles, was ihm geblieben ist. Er hat über seiner Krankheit nie die Würde verloren. Am Grab haben die treuen Freunde edlen Rotwein getrunken, und ein paar Gläser auf den Sarg
gegossen. In der Aussegnungshalle hatte man „My Way" gespielt und ,,Don´t Cry for me, Argentina".
Zeitweise ist der Tumor stillgestanden, dann hat man sich gedacht: was macht der aufgeweckte sympathische Herr im Hospiz, dann hat er von Bethlehem erzählt, das er einmal bereist hat, oder er hat der Stationsschwester Kleidungstipps gegeben „besser Hosen als Röcke tragen!"
Einmal im Fasching hat er sich unbedingt als Österreicher verkleiden wollen, mit Sepplhut und so, und hat seinen gebenedeiten Spaß dabei gehabt. Ein andermal, bei einer spontanen kleinen Weihnachtsfeier mit Hospizschwestern und ein paar Besuchern am Heiligen Abend, droben im Wohnzimmer, als grad die üblichen „staaden Adventweisen" aus dem CD-Player erklangen, hat er sich mit seinem rätselhaft-entwaffnenden Lächeln plötzlich eine Hardrock-Nummer gewünscht, am Heiligen Abend! AC/DC oder so, sein Weihnachtsgefühl in diesem Moment.
Der 70-jährigen Frau Amanda, seiner „Mensch-ärger-dich-nicht" Partnerin im Familiencafe, hat er von seinem Taschengeld bei Palmers ein paar Strümpfe gekauft, um ihr eine Freude zu machen und weil er fand, die passten zu ihr. Bei den Festen der Altkatholischen hat er sich engagiert und spannende Diskussionen mit dem Pfarrer Eisenbraun geführt, der ihn schließlich ausgesegnet und begraben hat.
Im Hospiz hat er sich wohlgefühlt, das war Familie. Und Zuhause. Vor ein paar Monaten ist es ihm so gut gegangen, dass er eine eigene Wohnung beziehen konnte, eine kleine Garconiere mit Blick auf die Festung. Nach ein paar Wochen war der Traum von der Zukunft wieder ausgeträumt, Krankenhaus, Hospiz.
Werner Gruber hat ihn in seiner „guten Zeit" einmal im „Europark" getroffen. „Matthias, wie geht's?" Und Matthias: „Geradeaus!" Er ließ es sich auch nicht nehmen, dass der Untersberg im Osten Salzburgs steht. Und im Nachhinein ist es niemanden von den Freunden mehr wichtig, wo der Untersberg wirklich steht. Wahrscheinlich doch im Osten, wenn es der Matthias gesagt hat…"
Der Schwester Brigitta hat er ein genaues Programm für ihren Besuch im Peggy-Guggenheim-Museum in Venedig zusammengestellt. Am Schluss, als er nur mehr mit Rotwein aus der Schnabeltasse anstoßen konnte, sagte er trotzdem: ,,ein cooles Gefühl!"
,,Wir durften auch von Dir lernen", hat Ilse Haslinger bei der Verabschiedung gesagt, ,,die Kunst der Langsamkeit ein Rendez-vous mit Dir beim Computer und wir mussten stehen und warten, still sein, das war oft nicht mehr auszuhalten. Aber Grenzen sind da, um sich zu spüren."
Dieser seltsame Matthias Jung fehlt an allen Ecken und Enden.
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